Georg V. und die Musik

"Künstlerische Größe ist  dauernder und universaler als geschichtliche Größe."
(Alfred Einstein)

 
Aufgrund seiner Niederlage gegen die Preußen 1866 gilt Georg V., letzter und schließlich politisch glückloser König von Hannover, gemeinhin als tragische Figur der deutschen Geschichte. Für die siegreichen Preußen war der hannoversche König, der mit seinem „romantischen“ Festhalten am Legitimitätsprinzip der Realpolitik

Bismarcks nicht gewachsen war und sich 1866 in der Georg V. Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich auf die Seite der Habsburgermonarchie gestellt hatte, schlechthin die „Persona non grata“ Deutschlands, nicht zuletzt deswegen, weil er bis zu seinem Tode Ansprüche auf Wiederherstellung des von Preußen annektierten Königreichs Hannover und die Rückgabe des Welfenschatzes geltend machte.

Es ist verständlich, dass sein kompositorisches Schaffen über dieser politischen Auseinandersetzung, die mit aller Härte und allen seinerzeit verfügbaren propagandistischen Mitteln geführt wurde, völlig in Vergessenheit geriet – wahrscheinlich sogar in Vergessenheit geraten sollte. 

Denn Georg V. - ganz und gar vom Geist der Romantik geprägt - war selbst eine Persönlichkeit, um die sich romantische Glorifizierung und Legende hätte ranken können: Im Alter von 14 Jahren unter tragischen Umständen erblindet, war er musikalisch exzellent ausgebildet, spielte und komponierte selber und verfasste musikästhetische Schriften. Er pflegte musikalische und zum Teil auch private Kontakte zu Clara Schumann, Johannes Brahms, Hector Berlioz und Joseph Joachim, der 1851 als Konzertmeister und später als Konzertdirektor nach Hannover verpflichtet wurde. Unter Georg V. war Hannover mit dem größten Theater Deutschlands und einem der renommiertesten Hoforchester eine der ersten Musikadressen Deutschlands.

 Die hier vorliegende Veröffentlichung der Kunstlieder Georgs V. darf als Rückführung des „musikalischen“ Welfen-Schatzes in die Musikliteratur gelten. Zu danken ist sie der Herausgeberin, die als musikalische Projektleiterin der Ausstellung „Größer noch als Heinrich der Löwe“ bei ihren Recherchen überraschend auf eine Fülle unbekannter Kunstlieder von außerordentlicher kompositorischer Qualität und bezaubernder Innigkeit stieß. Diese Kompositionen - vielfach durchweht von einem Hauch Schwermut -, deren musikalischer Einfallsreichtum, Thematik und Modulationstechnik an Werke von Schubert und Mendelssohn erinnern, werfen ein ganz neues Licht auf die Persönlichkeit Georgs V. als einem musisch hochbegabten, hochsensiblen Künstler.

Komponiert hat Georg V. die vorliegenden Kunstlieder als Kronprinz, also vor seinem 32. Lebensjahr; einige sind seiner Frau gewidmet. Vertont sind Texte der Frühromantiker Ernst Schulze, Wilhelm Müller u.a., deren Poesie auch Schubert zu Kunstliedern inspirierte.

Dass diese Kompositionen dem Vergessen anheim gefallen sind, mag auf mehrere Gründe zurückzuführen sein: Georg V. ließ es sich nach zeitgenössischen Berichten zwar nicht nehmen, für festliche Veranstaltungen das Musikprogramm selbst zusammenzustellen; eine öffentliche Aufführung der von ihm komponierten Kunstlieder ist jedoch nicht bekannt, was am ehesten darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Königsfamilie ein zurückgezogenes Privatleben führte. Nach 1866 wurde Georg V. als „persona non grata“ mit Schmähschriften überzogen, deren Spott selbst vor seiner Erblindung nicht Halt machte. Das Bild eines musisch hochbegabten Herrschers hätte vor diesem Hintergrund keinen Platz gehabt.

Der Musikwelt wieder zugänglich gemacht wurden die Kunstlieder von der Herausgeberin im Jahre 2003: Mit einer Uraufführung, die eine Auswahl der Kunstlieder Georgs V. erstmals einem breiteren Publikum präsentierte, klang die von der „Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen“ und dem Verein "Freunde der Burg Plesse e.V." initiierte Ausstellung "Größer noch denn Heinrich der Löwe" aus, die dem denkmalpflegerischem Engagement des Königs gewidmet war.

Aus der hier in 3 Bänden vorgelegten Faksimile-Ausgabe der Kunstlieder waren im ausverkauften Festsaal der Universitätsbibliothek Göttingen die Lieder „Wiegenlied“, „Lied aus König Enzio", „Die Schmerzen der Trennung“, „Verzweiflung“, „Nachts am Meere“, „A.E.I.O.U.“, „Andenken“, „Ihr Blümlein alle“, „Aurora“, „Sommernacht“ und „Stille“ zu hören. Ausführende waren Martina Hannemann (Klavier) und Jörn Lindemann (Tenor).

Georgs V. schrieb bekenntnishaft in seiner Abhandlung „Über Musik und Gesang“, die 1879, ein Jahr nach seinem Tode, in Wien publiziert wurde: „In der Musik, dieser himmlischen Schöpfung, leuchtet der Gesang als ein Hauptstern“. Mit der Wiederentdeckung und der Herausgabe seiner Kunstlieder verbindet sich der Wunsch, dass sein kompositorisches Schaffen eine neue Würdigung erfährt.

 

 

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